Tag 44 (Griechenland/Türkei): östlich von Alexandroupolis - Yenice
Tagesdistanz: 112km
Gesamtdistanz: 3609km
Fahrzeit: 7h
übellaunig … gespentisch I … gespenstisch II … abgewiesen … merkwürdige Dinge auf Türkeis Straßen (oder ich bin naiv) … die türkische Gastfreundschaft gibt es doch
Kein guter Anfang. Ich fühle mich mies. Ich will nichts essen, will nicht fahrradfahren. Der Himmel besteht aus Einheitsgrau. Es ist kalt. Mir ist schlecht, meine Beine wollen nicht. Zum ersten Mal durchfaehrt mich der Gedanke, “Was mache ich hier eigentlich? Warum bin ich hier in Ostgriechenland mit dem Rad unterwegs und warum fahre ichv gegen den Wind?”
Ich zwinge mich etwas zu essen und es geht etwas besser. Dann komme ich auf die Autobahn in Richtung Türkei. Klar, die falsche Strasse, aber das ist mir egal. Die Schilder sind nun mal so, ich will nicht Pfadfinder spielen. Runterschmeissen wäre eh nicht gegangen, die komplette Straße ist eingezäunt. Und es ist gespenstisch. Hier ist der Grund:
(zum Betrachten des Videos auf das Bild drücken, es öffent sich in einem neuen Fenster)
Es schien kein Auto auf der Straße zu sein. Während meiner ganzen Fahrt von ca. 20 Minuten überholten mich sechs LKW und sieben Autos. Es gibt scheinbar keinen Verkehr zwischen Griechenland und der Türkei.
Grenzübertritt. Griechenland verabschiedet mich freundlich. Hände über dem Kopf zusammenschlagender Grenzer als ich auf seine Frage antworte, wo ich hinfahre.
Dann kam ich an die tatsächliche Grenze. Vielleicht bin ich ein naiver Europäer oder einfach einer, der sich an den Gedanken und die Realität des Schengen-Raums und fehltenden Grenzkontrollen gewöhnt hat. Aber was ich an der Grenze sah hinterließ bei mir nur Kopfschütteln. Soldaten in kleinen Häuschen, jeweils ca. 20m von einem Strich über die Brücke entfernt. Ich wollte ein Bild machen, ließ es sein. Am Grenzstrich ging das auch nicht, der türkische Soldat winkte eifrig und heftig, ich solle endlich machen, der griechische sah auch nicht begeistert aus. Vier Soldaten traten aus ihren ziemlich bescheuert aussehenden Häuschen heraus. Also fuhr ich weiter, bekam trotzdem ein freundliches “Willkommen in der Türkei!” und hielt dann kurz darauf an, um dieses Foto zu machen.
Auf der türkischen Seite keine wirklichen Formalitäten. Ich fuhr weiter. Das nächste Dorf, nicht wirklich interessant. Ich fuhr weiter. Ich kam an die erste Stadt und hatte kein Geld. Ich wollte einen Geldautomaten oder Geld wechseln. Gab es nur im Zentrum. Ich war in einem Einkaufszentrum. Ich wollte nicht hoch. Kreditkarte sollte gehen. Ich kam nicht mal in den großen Supermarkt rein. Ich sollte mein Rad um die Ecke stellen, abseits von allem. Ich weigerte mich, kam nicht in Frage. Reine Vorsichtamaßnahme, da hier mehrere Leute mich und das Rad schon gesehen hatten und sie wohl andere daran hindern würden, irgendwas zu machen, was ich nicht wollte. Ich ging. Geld wechseln ging auch nicht, trotz großem Schild wollte man meinen EUR 50 Schein nicht nehmen. Ich fragte warum (großes Fragezeichen im Gesicht), er zuckte nur mit den Schultern. Letzte Möglichkeit, ein anderer Supermarkt. Sie nahmen Kreditkarte und da tauchte auch schon ein Geldautomat auf. Alles wird gut.
Hügel folgte nun auf Hügel, kein Stückchen flach. Wind von vorne. Beständiger Wind von vorne. Sehr ermüdend. Ich wurde von der Kombination förmlich aufgefressen.
Dann passierte merkwürdgies. Oder ich bin gedanklich einfach langsam geworden. Eine Frau steht an der Straße, nichts ungewöhnliches hier, passiert häufig, Leute werden mitgenommen. Sie ist um die 30, daneben ein kleiner LKW, vielleicht ein Verwandter, der sehen will, dass alles OK ist. Ich fahre vorbei, sie sagt was, ich verstehe nichts, lächele und fahre weiter. 300m den Berg hoch mache ich dieses Bild.
Dann dieses.
Sie kam den Hügel hoch auf mich zu, immer noch im Begriff Autos anzuhalten. Sie kommt bis zu mir und läßt einen Wortschwall auf mich nieder. Ich habe keine Ahnung, was sie will. Versuche ihr das klar zu machen. Sie plappert weiter. Ich packe meine Kamera ein. Dann kommt eine universelle Geste … und dann wird mir alles klar. Hat auch lange genug gedauert. Ich schüttele den Kopf. Sie sieht nicht erfreut aus. Dachte wohl, dass mein Anhalten was mir ihr zu tun hatte. Sie wirft mir wohl ein paar Flüche zu.
Ein LKW hält an, nimmt sie mit. Ich sehe den LKW ein bis zwei km vor mir anhalten. Sie steigt aus. Ich fahre weiter, erreiche sie fast - sie steigt wieder in einen Transporter ein und ich sehe sie nicht wieder. Man kann mich naiv schimpfen, aber für mich kam es unerwartet, wo und wann dies passierte.
Ich komme in Malkara an und bin ziemlich ausgepumpt. Ich brauche eine Pause. Ich suche ein Internetcafe und jemand bringt mich hin. 8-jährige spielen Counterstrike, was für ein Anblick.
Noch mehr Wind und noch mehr Hügel. Dann kommt ein Dorf, in dem ich meine Sachen fürs Abendessen kaufen will. Der Händler kommt raus und schlägt mir die Tür vor der Nase zu. Nicht nur sprichwörtlich. Aua. Vielleicht ein Mißverständnis. Nein, nicht wirklich. Ich versuche zu erklären, dass ich was kaufen will. Er dreht sich um und geht weg. Andere starren mich an. Ich bin verärgert, frage mich, ob ich was falsch gemacht habe. Kleidung OK, nicht, dass es hier wichtig gewesen wäre. Die anderen rufen dem Händler nach, der geht einfach weiter. Keine Ahnung. Ich ziehe von dannen.
Ziemlich kaputt fahre ich weiter. Ein wenig enttäuscht und auch ein wenig Ärger ist auch noch da. Das nächste Dorf und ich beschließe dort zu bleiben. Egal, was passiert.
Ich komme an und eine Schar Kinder umringt mich. Fußballspielende Kinder. Oli Kahn, Michael Ballack … die Namen fallen schnell. Wir finden das kleine Geschäft, davor auch eine Frau, die deutsch spricht. Sie übersetzt, wo ich herkomme, wo ich hinfahre. Ihr Mann wird bald hier sein. Er hat 35 Jahre in Berlin bei Siemens gearbeitet. Platz zum Zelten gebe es schon, man werde was finden.
Özcilek kommt vorbei und es entwickelt sich schnell ein nettes Gespräch, viel Lachen und Spaß bei der ganzen Sache. Wir trinken den üblichen Tee mit anderen Männern, Frauen nicht zugelassen. Mein Fahrrad bleibt vor dem Geschäft stehen. Ich werde zum Dorfgespräch. Ein kleines Dorf. Aber Emine und Özcilek haben ein großes Herz. Zurück beim Fahrrad bietet Özcilek an, bei ihnen zu bleiben. In Anbetracht des Tages nehme ich an.
Eigentlich wollte Özcilek nur einige Jahre in Deutschland bleiben, es wurden 35 daraus. Seine zwei Söhne wohnen in Berlin und auch Özcilek wird wohl nach der Rente noch eine Weile dort bleiben. Wir unterhalten uns lange über Sport, Politik und andere Themen, meine Gesichte mit der Frau wird bestätigt. Özcilek war auch überrascht, als er es zum ersten Mal gesehen hatte. Um Mitternacht falle ich ins Bett, erschöpft, aber auch sehr, sehr dankbar.
May 7, 2008 No Comments