Mit dem Fahrrad vom Schwarzwald zum Gelben Meer
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Tag 134 (Iran): Mashhad - Razaviyeh (das Spiel ist noch nicht vorbei)

Tagesstrecke: 43km
Gesamtstrecke: 8132km
Fahrzeit: knapp ueber 2h

Dieser Eintrag ist ein wenig laenger geraten, aber vielleicht wird es verstaendlich … einfach mal ein wenig lesen.

So sieht mein Geldbeutel aus …

Aber mal von Anfang an. Ich verlasse Mashhad ueber Autobahnen (alles andere waere noch gefaehrlicher gewesen) und finde den Weg nach Sarakhs. Von hier aus immer geradeaus. Der erste Ort ist runtergekommen und ich fahre durch. Hier sollte ich einige Zeit verbringen. Die Temperaturen waren hoch, der Wind kam von vorne, aber alles im Rahmen.

Ich komme nach Razaviyeh und beschliesse, hier ein wenig Essen einzukaufen. Das haette alles nur einige Minuten dauern sollen. Kaese habe ich, Brot um die Ecke. Nichts wie hin, Fahrrad in Sichtweite. Brot wird gerade frisch gebacken. Super. Alles sehr nett, bezahlen wird abgelehnt. Bis das Brot fertig ist, hole ich das Rad, es steht direkt hinter mir. Ich mache ein paar Bilder, habe den Geldbeutel in die Lenkertasche gesteckt. Zugemacht. Hier ist ein Bild …

Und genau dann ist es wohl passiert. Als ich mich umdrehe ist der Geldbeutel weg. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn dorthin gesteckt hatte. Suche ziemlich hektisch, aber finde nichts. Verdammt. Weg ist er. Alles weg. Es ist dieses ueble Gefuehl, dass gerade alles von einem wegschwimmt. Geld, Karten und damit die Moeglichkeit hier aus dem Iran raus- und nach Turkmenistan reinzukommen. Wird somit alles schwieriger. Ich koennte einige Leute anrufen und es wuerde sich wohl was machen lassen. Aber dieser extreme Frust kommt gerade in mir hoch, Frust wegen der Situation und vor allem wegen meiner eigenen Bloedheit. Habe die Moeglichkeit ja selbst geschaffen. Ich habe normalerweise auch das Geld an mehreren Orten, aber gestern nicht wieder verteilt, weil ich Geld getauscht hatte.

Zu viele Leute um mich herum, sie wissen, was los ist. Die Leute von der Baeckerei sind nett, muessen sich aber um das Brot kuemmern. Die Sekunden warden zur Ewigkeit. Ich erwaehne was von Polizei, weiss nicht mehr weiter. Versuche rational an die Sache ranzugehen. Aber die Zeit draengt. Ich habe noch fuenf Tage im Iran, mein turkmenisches faengt in drei Tagen an zu laufen und ich habe nur fuenf Tage. Was machen?

Es kommt ein Krankenwagen vorbei, der zur Stadt gehoert. Er ruft die Polizei. Es kommt noch jemand von der Gemeinde, Sayid. Er spricht Englisch und sagt, dass alles good wird. Wie sol les das warden ist mir ein Raetsel. Es wird schon werden, aber klar ist das in diesem Moment der Unsicherheit nicht. Die Polizei kommt, scheucht die Kinder weg und nehmen die Sache in die Hand. Ich habe nicht viel Hoffnung, dass die was rausfinden. Dann spricht noch jemand Englisch, Mohammad. Sie versuchen mich ins Rathaus zu lotsen, ich will nicht weg. Aber das ist natuerlich Bloedsinn und so gehe ich mit. Ich frage mich laut, warum zum Teufel ich hier gehalten habe. Sayid meint erneut, dass alles gut warden wird. Ich habe genau 0 Hoffnung.

Im Rathaus werde ich mit Tee, Melone und Keksen ueberhaeuft. Jeder ist super freundlich, es ist allen peinlich, dass die in ihrer Stadt passiert ist. Ich fange an, die Strategie fuer den GAU zu planen. Wen anrufen, was organisieren? Dann stuermen 10 Polizisten in den Raum. Alle mit breiten Schultern und alle mit Funkgeraet und alle in Zivil, bis auf einen. Jeder lacht, ausser mir. Ich verstehe wenig, die Uebersetzung laeuft nicht, ist wohl Absicht. Sie fragen nichts. Ein Kind kommt rein, ich denke, das koennte er sein, habe ihn gesehen. Dann bekommt er Melone. Good cop, bad cop? Dann wird mir ein Album gezeigt, Blumen vorne, boese Jungs drinnen. Ich erkenne niemanden. Dann gehen all. Ich bin mit den Leuten vom Rathaus alleine. Will noch mal nachsehen, ob mein Geldbeutel im Fahrrad steckt. Dann meint einer, es wurde einer gesehen, der es gestohlen habe, es sei sicher nicht am Rad. Also, gibt es eine Spur, daher die gute Laune. Vorher meinte noch einer: “Game over”. Ist es nicht. Das Spiel geht weiter.

Wir sprechen noch ein wenig, dann werde ich gefragt, welche Sprachen ich noch spreche. Franzoesich, dann ab zu einem anderen Gebaeude. Darauf habe ich keine Lust, will nicht noch jemanden eine schoene Erinnerung an seine Zeit in Frankreich geben. Aber ich gehe halt mit.

Der Typ ist nett, sein franzoesisch erstklassig. Er will alles wissen, ich erzaehle alles noch mal. Er ruft hier und da an, meint, dass e seine Organisation gebe, die mir Geld geben wuerde. Ich will das nicht, aber er laesst nicht locker. Sayid bekommt einen Anruf, wir muessen los. Dann ein zweiter Anruf, wir bleiben hier. Sie kommen vorbei. Irgendwie quetschen sich alle in das Buero. Einer traegt meinen Geldbeutel, total zerfetzt. Wer macht so was? Verkauf ihn, schmeiss ihn weg, behalt ihn nicht. Dann – dramatische Geste. Sie haben meine Karten und die Dollar gefunden, die Rial und die Euros nicht. Verdammt, 250 EUR floeten. Es fehlt was? Kann nicht sein, bist Du sicher? Klar, ich bin sicher. Alles in einer Mischung aus englisch, franzoesisch und auf Farsi.

Dann sehe ich einen Typen in Handschellen auf einem Stuhl. Hatte ihn vorher nicht bemerkt. Das ist er also. Es wird geschrien, er ist eindeutig eingeschuechtert. Es geht um die Euro. Es faengt an zu weinen, fleht um Gnade. Die anderen Sachen wurden an unterschiedlichen Orten gefunden, dann gibt es wohl einen weiteren. Aber sie kriegen nichts raus. Also, alle auf die Wache. Zurueck zu dem unschoenen Ort von heute morgen. Ich bin mir nicht klar, was ich denken soll. Der Typ ist suechtig, sieht schlimm aus – fast habe ich Mitleid mit ihm. Sie haben Hoffnung, dass sie die Euros wieder bekommen. Sie arbeiten schnell und so weit ich das bis dahin sehen kann auch sehr professionnell. Konnte nichts im Gesicht von Hadi sehen, so heisst er. Aber ich war auch nicht immer dabei …

Das Kind hatte Hadi gesehen, wie er den Beutel nahm. Jetzt macht alles mehr Sinn. Hadi ist fuer die Polizei kein Unbekannter. Er sei ein schlechter Mensch wird mir haeufig gesagt.

All dies ist bis 14 Uhr passiert und ich habe meine Notizen abgeschrieben. Ich sollte bis 17 Uhr warten. Hadi hat die Euros einem aus Esfahan gegeben, ich habe einen Tag Spielraum, beschliesse zu bleiben. Ich become Mittagessen auf der Polizei. Sogar lecker. Mein Mitleid fuer Hadi verfliegt, als er mir einen ziemlich dreisten Blick auf der Wache zuwirft. Er spielt auf Zeit, weiss, dass ich raus muss.

Der Polizist in Uniform sagt mir spaeter, dass er Hadi gepruegelt hat und er ist stolz auf die geschwollene Hand. “So machen wir das hier” bekomme ich zu hoeren. Sonst haette ich wohl mein Geld nicht wieder. Ich bin aber ziemlich aufgewuehlt. Vielleicht wollte ich es nicht wissen. Hier habe ich gegen Folter geschrieben und nun habe ich davon profitiert, dass die Polizei jemand gepruegelt hat. Ich versuche – schwach – mein Missfallen auszudruecken, aber es kommt nicht rueber. Ich will den Polizist auch nicht sauer machen. Aber warum macht mir das was aus? Ich bin unzufrieden mit mir und der Welt.

Ich werde hin und her gekarrt und bin eine Weile im Polizeiauto. Vieles passiert unter der Hand, einer meint die Afghanen-Fluechtlinge hier seien keine Menschen. Der Typ geht mir so sehr auf die Nerven wie Hadi – gelackter Affe mit zuviel Gel im Haar, der sich zu oft im Spiegel anschaut.

Ich komme zurueck nach Razaviyeh, wo ich die Nacht verbringen soll. Auf der Feuerwache. Ist mir auch egal. Ich bin einfach nur fertig. Wir sehen Sayid, der mich sofort in sein Haus bittet. Ich solle auf jeden Fall hier schlafen, was anderes kaeme nicht in Frage. Ich nehme sehr dankbar an.
Der Abend wird interessant. Wir gehen zu den Nachbarn, die den Geburtstag von Imam Hossein (Maertyrer von Kerbala) feiern. Mit Imam und so weiter. Wieder wird alles sehr emotional und ich bin ein wenig perplex, weil alle weinen. Verstehe das alles nur sehr bedingt.

Der Junge hatte uebrigens nichts mit allem zu tun. Die Polzei fand Hadi aus eigenem Antrieb. Sie haben ihn aber immer noch verpruegelt. Es ist eine Undercover Suche nach dem Typen aus Esfahan eingeleitet worden. Aber ob das stimmt oder wird das Geld nicht bei der Polizei bleiben.

Bei Sayid schlafe ich schnell ein, fuehle mich hier sicher. Auch bitter noetig nach Stunden auf dem Revier und der ganzen Unsicherheit.

August 5, 2008   No Comments